Wieder spanischen Boden unter den Füssen bangen wir, ob Hampi und Mamfred auch wirklich im Stall geblieben sind, oder ob sie Reissaus genommen haben. In der Pension warten sie wohlbehalten auf uns, es wird gepackt, und schon leben wir wieder in der Welt der Reisenden.
Ein regnerischer und hügeliger Start macht uns den Anfang schwer und lässt die Sehnsucht nach der Schweiz wachsen. Doch am dritten Tag kommt die Sonne, die Temperaturen steigen angenehm und Galizien verwandelt sich in eine äusserst reizvolle gegensätzliche Landschaft: wunderschöne weisse Sandstrände, Lagunen, türkisblaues Meer und rauhe Felsen. So schalten wir in Louro einen extra Strandtag ein und die Sehnsucht nach der Schweiz ist weg. Reisen ist doch ein Privileg!
Auf einem Abstecher in das grosse Pilgerziel Santiago de Compostela begegnen wir den Auch-Nicht-Pilgern Julie und Sébastien aus Belgien, die ebenfalls nach Marokko radeln. Per Zufall treffen wir sie am nächsten Tag in Pontevedra, wo wir zusammen die Ausfahrt aus der Stadt suchen und stattdessen auf der Autovia landen.
Am 9. Juli erreichen wir Portugal über den Rio Miño. und fahren durch die hügeligen grünen Rebberge. Die Gegend wirkt oft ärmlich, Frauen tragen schwere Lasten wie Holzbalken oder 12 Tetrapack Milch auf dem Kopf, Familien sitzen zu dritt auf dem Töffli, und die wirklich, wirklich armen Landarbeiter fahren sogar mit dem Velo zur Arbeit. Viele Familien scheinen Selbstversorger zu sein.
Auch auf Portugals Strassen weht ein rauherer Wind: überholt wird grundsätzlich so eng wie nur möglich (und vieles ist möglich!). Nach gut drei Wochen sind wir Experten im aktiven Hupenhören, frei nach Schulz von Thun: ein feines Tut-Tut, meist wenns aufwärts geht, ist durchaus aufmunternd gemeint; ein sanftes Tooot bedeutet: LKW überholt grosszügig; ein ohrenbetäubendes TUUUUT: Weg in den Graben, wenn du Leben willst. Und nicht zu vergessen: das wilde Gehupe, das uns vor Schreck fast umkippen lässt, das von den entgegenkommenden Fans mit nach oben zeigenden Daumen zum Besten gegeben wird.
Auch die Strassenverhältnisse scheinen uns sanft auf afrikanische Standards vorzubereiten: Zum Zeltplatz führt eine 4km lange Wellblechpiste, und nach Faro nimmt Tom eine Abkürzung über eine Sandpiste, die bei Michelin 1:400'000 als befestigte Strasse erscheint. Mit der Kartenqualität ist es so eine Sache: weisse Provinzsträsschen entpuppen sich als vierspurige Autostradas, gelbe Nebenstrassen als für Velofahrer verbotene Raserpisten. Die EU-Strassenbauprogramme führen nämlich paradoxerweise dazu, dass sich das für Radler verfügbare Strassennetz stetig verkleinert: wird mit 75% Subvention eine Strasse neu ausgebaut, kommt ans Ende oft eine dieser fünffachen Verbotsschilder. Signalisiert wird aber ausschliesslich die Autoroute – wir suchen uns den Weg anhand alter Kilometersteine und fragen uns durch.
Am 10. Juli erreichen wir Braga und gönnen uns eine Pause. Die Stadt zeichnet sich durch die vielen mit Azulejos, den farbig bemalten Kacheln, verzierten Häuser aus. Knapp vor unserer 4000km-Marke heisst es: erster Kettenwechsel für Hampi, Mamfred und Iris. Unter Toms Anleitung schafft es Iris, die beiden nagelneuen Ketten zu montieren. Nach striegeln und bürsten glänzen unsere Drahtesel in neuer Pracht und wir pedalen um einiges runder.
Nach den Ruhetagen fahren wir durch gewaltige Dünen, unterbrochen von endlosen Kiefernwäldern, an die Küste zurück, wo das Meer zum Bade lädt. Trotz aller Schönheit verstärkt sich bei einer Hälfte der Truppe das Heimweh. Unsere oft so wunderbare Zweisamkeit ist eben häufig auch eine grosse zweisame Einsamkeit mit täglichen Herausforderungen wie Schlafplatz finden, körperliche Strapazen, sprachlichen Barrieren und kulinarischen Hochs und Tiefs... Da fehlen die eigenen vier Wände, Freunde und Familie, die bekannten Zürcher Gässli – und vielleicht sogar der Job. In Braga noch haben wir die Ankündigung für Norah Jones’ Auftritt am Cooljazz Festival in Lissabon gesehen. Um uns ein wenig vom Heimweh abzulenken, kaufen wir unterwegs Konzerttickets; dafür muss etwas schneller geradelt werden, doch der immer zuverlässige portugiesische Rückenwind hilft uns, pünktlich in der Hauptstadt einzutreffen.
Vom grosszügigen Camping aus erkunden wir die verwinkelte Alfama und das pompöse Mosteiro de Jeronimos in Belem – und eben, besuchen wir ein tolles Konzert am Strand von Estoril.
Nach vier Tagen Lissabon setzt uns die Fähre ans Südufer des Rio Tejo über, von wo wir in langen Tagesetappen Richtung Süden strampeln. Wir sind etwas europamüde, wollen weiterkommen, endlich Afrika erreichen; so wird unsere Routenplanung direkter, wir lassen die Abstecher ins Landesinnere aus und folgen der meist flachen Küste. Trotzdem geniessen wir die einsamen Fahrten durch knorrige Korkeichenwälder und einen Tag am endlosen und menschenleeren Atlantikstrand.
Die Szene ändert sich am 29. Juli, wie wir mit dem Cabo de Sao Vicente die Südwestecke Europas und damit die Tourismusindustrie der Algarve erreichen: Urbanizaciones, dicht and dicht belegte Strände, befahrene Strassen – und noch etwas, wovor wir uns schon lange gefürchtet hatten: das Thermometer klettert auf über 40°, auch nachts kühlt es kaum ab, so dass nicht nur das Velofahren, sondern auch das Schlafen mühe macht. Dafür haben wir jeweils gebührenfreies Fernsehen zum Nachtessen – wirklich spannend, dieses Campingplatztreiben.
Am Schweizer Nationalfeiertag erreichen wir bei brütender Hitze Sevilla, wo wir mitten in der Altstadt die passende Pension Il Nuovo Suizo finden. Nach 5000 Kilometern ist es Zeit für die letzte grosse Ruhepause vor der Überfahrt nach Marokko. Wie immer gibt es unheimlich viel zu tun: waschen, Email, schlafen, Veloservice, einkaufen... Wir sind auch tief beeindruckt von den architektonischen Meisterwerken der andalusischen Hauptstadt; die Kathedrale ist phänomenal und im Alcazar Real fehlen uns die Worte. Daneben geniessen wir es, durch die Altstadtgässlein zu schlendern, wenn die Hitze endlich etwas nachlässt, und planen unsere Weiterreise in den kühlen Morgenstunden auf der Dachterrasse. Am allermeisten Zeit nimmt wieder einmal der blöde Computer in Anspruch: die Fotos durchzusehen und hochzuladen und den Reisebericht zu erstellen kostet fast einen ganzen Tag und unbekannte Mengen Schweiss – wie hofft man da, doch wieder mal auf einen kurzen Bericht oder etwas Klatsch und / oder Tratsch aus der fernen Heimat zu stossen (ja, das ist eine versteckte Aufforderung an alle Schreibfaulen) (ja, dich meinen wir!).
Nächstes Mal aus Marokko – Liebe Grüsse von Iris und Tom
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Klatsch und Tratsch
Un salut de la Romandie
Gute Besserung
ein Schreibfauler